Glücklich verheiratet? - Das Vorspielen von Eheglück
Unsere Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die den Schein pflegt. Wir lügen uns über uns selber an und geben unsere Wunschgedanken als Realität aus. Ein herrliches Beispiel dafür ist die Heirat mit der proklamierten "wahren Liebe".
Es gab ein Buch, das mich zum systematischen Erlernen der Verführung brachte: "The Game" von Neil Strauss. Neil Strauss schreibt darin, wie er als Journalist in die geheime Pickup Community infiltrierte, um dann nach zwei Jahren einer der besten Verführer der Welt zu werden. Aber dann nach 430 Seiten Abenteuer trifft er Lisa, die "Frau seines Lebens". Mit ihr will er alt werden. Und wie es jeder Mensch dieser Erde gern liest, folgt der Satz: "Diese Reise in die Subkultur bestätigt schliesslich die Botschaft der Gesellschaft von Monogamie und dass wahre Liebe alles erobert". Er verliess die Subkultur. Ein halbes Jahr später googelte ich nach "Neil Strauss und Lisa". Ergebnis: Sie hatten längst Schluss gemacht. Die "wahre Liebe" war wieder mal doch nicht so wahr.
Zweites Beispiel: Russel Brand, weltbekannter englischer Star-Comedian, Enfant Terrible und ausgiebigster Frauengeniesser. Dann trifft er eines Tages die Weltstar-Sängerin Katy Perry ("I kissed a girl"). Ich besitze das neueste Buch von Russel Brand "Booky Wook 2". Darin schreibt er über seine wilden Frauen- und andere Eskapaden, um dann zum Schluss ins kollektive Märchen überzuführen. Das Buch startet mit einer weissen Seite, auf der nur 10 Worte stehen: "For Katy – This is my past – You are my future." Am Ende des Buches dann die Sätze: "I can see the ring I gave her when I asked her to marry me at midnight under a full blue moon. And now this is my life, this beautiful woman. Just her and the revolution." Scheidung war dann ein Jahr später.
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Das vermeintliche Glück kommt durch NICHTS im Aussen
Drittes Beispiel ist Heidi Klum, eine ganz grosse Verfechterin der "wahren Liebe mit dem Richtigen". Erste Hochzeit mit Ric Pipino, 5 Jahre später Trennung. Anschliessend eine Beziehung mit Falvio Briatore, sie wird schwanger, dann Trennung. Dann kommt der vorletzte Richtige: Seal. Märchenhochzeit 2005. Das heilige Eheversprechen wird in den nächsten 7 Jahren zerememonienreich fünf mal (!) wiederholt. Ein Rummel, um anderen beweisen zu wollen, dass alles passt, wenn es eben nicht passt.
Und Heidi sagt uns im Laufe dieser 7 Jahre mit einem immerwährenden Lächeln: "Wir haben die perfekte Ehe."
Scheidung war dann 2012. Nur Seal will zum Schluss die Wahrheit sagen. "Wir haben die perfekte Ehe nur der Öffentlichkeit vorgespielt. Hinter den Türen war Krieg."
2019 wird wieder geheiratet. Diesmal den Tokyo Hotel Gitarrist Tom Kaulitz. Auf der Liebesinsel Capri, wie originell. Mit kitschigem Baden in der "blauen Grotte" und selbstverständlichem posten desselben auf Instagram, noch origineller. Hochzeit auf einer weissen Yacht mit weissen Blumen, am originellsten.
Heidi hat seit ihrem Kennenlernen ca 750 (!) Fotos und Videos von gespielt harmonischen Zweisamkeit auf Instagram gepostet. Sie können von folgendem ausgehen: Je mehr jemand seine perfekte Beziehung nach aussen zelebriert (das "Nora Kettchen" von Modern-Talking Barde Thomas Anders hat Heidi Klum imitiert, sie trug im Fernsehen ein Kettchen "Tom"), desto sicherer bricht das dann irgendwann.
Ich gebe der Verbindung fünf, maximal sieben Jahre.
Tom Cruise ist 2005 bei Oprah Winfrey trampelnd "verrückt" auf's Sofa gesprungen "That's how I feel about her" um seine ausserordentliche Liebe zu Katie Holmes vor einem Millionenpublikum zu dokumentieren. Im Mai 2012 dann noch eine überbordende Liebeserklärung im Playboy. Dann am im Juli 2012, einen Monat später: Scheidung auch bei Tom Cruise. Er ist ein drittes mal auf einer Bananenschale ausgerutscht aber glaubt weiter: Auf Bananenschalen findet man Halt.
Wir sind so erzogen uns selber und den anderen ein Märchen vorzuspielen und glauben auch noch daran. Das dominierende Gefühl bei der Hochzeit ist nicht Liebe sondern Angst. Angst, dass die Gefühlsbindekraft nicht hält - Angst, mit seiner gefühlten Minderwertigkeit keinen zweiten zu finden, der jemanden "wie mich auf Dauer haben will" - Angst vor dem Verlassen werden - Angst, dass jemand irgendwann sehen könnte, wie einsam ich mich fühle.
Das kollektive Märchen von "wahrer Liebe" und "Heirat als Glücksbringer", wird aber weiter erzählt. (Lesen Sie Sprüche zur Hochzeit) Wenn man den Hochzeitsphantasie-Ergebenen solche Fassadengeschichten wie von Heidi und Scheidungsstatistiken von über 55% vorhält, dann erzählen sie einem meist von einem Paar, das sie kennen, das nach 30 oder 40 Jahren "immer noch glücklich verheiratet" ist. Aus der Tatsache, dass jemand sich noch nicht getrennt hat, leitet man eine "glückliche Ehe" ab. Ich war oft genug in Restaurants gesessen und habe ältere Ehepaare am Nachbartisch beobachten können. Die sitzen teilweise eine Dreiviertelstunde nebeneinander und sprechen kein einziges Wort miteinander. Glück in Aktion. Aber schlimmer als das wäre Einsamkeit. Das klingt natürlich nicht so gut, also kleben wir ein wohlkingendes Etikett an die Angstentscheidung.
Heirat, wie auch Kinder, sind ein Betäubungsmittel, um die eigene innere Misere nicht anschauen zu müssen. Wir verleugnen das beobachtbare Ergebnis bei uns, genauso wie rund um uns - denn sonst müssten wir uns ja mit dem beschäftigen, vor dem wir noch grössere Angst haben: Mit uns selber. Mit unserer nie enden wollenden Minderwertigkeit, mit unserer Angst vor dem Tod und dem Leben, mit unserem sorgsam gepflegten Scheinleben, mit der Tatsache, nicht zu wissen, wer wir sind. Gib mir eine Illusion, die mich von mir selber ablenkt. "Wir sind glücklich verheiratet" ist eine Schutzbehautptung.
Hier zwei Antwortmöglichkeiten, wenn jemand sagt: "Wir sind glücklich verheiratet."
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Und DAS nennst du glücklich?
- Was würde ich auf einem Tonband hören, das in eurer Wohnung alle Gespräche mitschneiden würde?
Wann werden wir aufhören so zu tun, als ob wir blind wären.
Hochzeit ist wie ein angebliches Heil-Mittel, das man in einer Welt der Misere zwangsweise allen verabreicht. Man beobachtet, dass 70% sterben, 20% überleben nur knapp und bei 10% gibt's eine leichte Verbesserung. Jetzt deutet man auf die 10% und sagt: "Schau, es wirkt!"
"Heiraten heißt, mit verbundenen Augen in einen Sack greifen und hoffen, dass man einen Aal aus einem Haufen Schlangen herausfinde.“ Arthur Schopenhauer, dt. Philosoph 1788 - 1860
Wenn wir die beobachtbare Wahrheit als Grundlage hätten und nicht Wunschgedanken, dann müsste es statt der RTL Show "Die Traumhochzeit" ein Format geben mit Namen "Jung, dumm und verheiratet!"
Letztes Update: 29. Juni 2021
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Ich glaube, dass Sie absolut recht damit haben, wenn Sie sagen, dass "glücklich verheiratet" nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen ist. Und leider genauso oft "in glücklicher Beziehung (ohne Trauschein) leben - umso schlechter, je vehementer das Glück und die lange Zeit der Beziehung betont werden.
Wir empfinden Glück in so vielen Bereichen. Jeder für sich. Nie beständig. Immer wieder kehrend. Mit allen Höhen, allen Tiefen. Glück ist mehr, als ein Satz. Es ist individuell, es ist das Gefühl in uns. Der Ruf der Seele, Frieden gefunden zu haben. Und Illusion. Eine Entscheidung, nicht mehr zu leiden.